"Conversazione a..."- Folge 1: Rom & München

Conversazione a Roma oder Wer war eigentlich Franca Magnani?
Franca Magnani: Mein Italien, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2013. 

Franca Magnani – klug, kritisch, durchsetzungsstark, authentisch und modern, immer elegant und sympathisch. Die italienische Journalistin Franca Magnani ist aus der Geschichte der deutsch-italienischen Kulturbeziehungen nicht wegzudenken. Wenngleich sie nicht mit der Schauspielerin Anna Magnani, die den meisten durch die Filme Rossellinis und Pasolinis bekannt sein dürfte, verwandt ist, ist sie in ihrem Metier ebenso berühmt und beeindruckend wie ihre Schauspielkollegin Anna. Franca Magnani war eine gebürtige Römerin (1925-1996) und Tochter des Chefredakteurs Fernando Schiavetti der italienischen Zeitung La Voce Reppublicana. Über ihre spätere Tätigkeit als ARD-Korrespondentin hat sie Rom und ganz Italien mit Deutschland in einen ständigen Austausch gebracht und beide Länder fest miteinander verbunden. Darüber hinaus hat sie gezeigt, dass Frauen mindestens so eloquent und erfolgreich sein können wie ihre männlichen Kollegen im Journalismus. Ihre Bedeutung für die journalistische Karriere von Frauen späterer Generationen ist nicht zu unterschätzen. Franca Magnani hielt an ihren eigenen Überzeugungen temperamentvoll und engagiert fest und bewies ihre Standhaftigkeit im Widerstand gegen einige mächtige Männer der Münchener Fernsehbranche, die ihre mediale Wirkungsmacht durch ein Bildschirmverbot einzuschränken versuchten statt ihre Offenheit, ihre Unmittelbarkeit und ihr Selbstbewusstsein, mit denen sie bei ihren Zuschauern volle Sympathie erntete, anzuerkennen. Bei aller Gedankenschärfe und Kritik blieb Franca Magnani einfühlsam, ehrlich und damit für die Zuschauer glaubwürdig und realistisch. Ihre Bürgernähe, die ihren medialen Erfolg begründete, stand auch im Zentrum ihrer politischen Ethik: „Je mehr Bürger mit Zivilcourage ein Land hat, desto weniger Helden wird es einmal brauchen“ (Kohl 2004, S. 253). Und entsprechend suchte sie nicht nach den Helden der Geschichte, Politik und Kultur, sondern nach den Bürgern, den „einfachen Menschen“ von der Straße. Zu den Bürgern zählten durchaus auch diejenigen Künstler und Politiker, die politische und wirtschaftliche Machtmechanismen kritisierten, um sich auf die Seite jener alltäglichen Bürger zu stellen, die vor den Fernsehapparaten saßen und ihre Artikel lasen. Nähe strahlen ihre Beiträge auch sprachlich aus: Sujet und Sprache bleiben alltäglich, ganz nah an den Lesern. Kaum von Nähe gekennzeichnet war allerdings ihr späteres Verhältnis zu den deutschen Rundfunkanstalten. Als 1977 der der CSU nahe stehende Journalist Wolf Feller das der Studio ARD („Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“) übernahm und die links orientierte Magnani immer weniger zu Wort kommen ließ, blieb sie stark und verklagte später den Bayerischen Rundfunk wegen Diskriminierung. Erst 1991 wurde ihre darauffolgende fristlose Kündigung aus dem Jahre 1987 für ungültig erklärt. Es dauerte weitere drei Jahre bis es zu einem Vergleich mit dem Bayerischen Rundfunk kam. Magnani war eine Kämpferin für die Sache, für das Recht – auch ihr eigenes – und für die Völkerverständigung.

Aufgewachsen in Italien, in Südfrankreich und in der Schweiz, heiratete Franca Magnani neunzehnjährig den Schweizer Journalisten und Philosophieprofessor Arnold Künzle, mit dem sie 1945 nach Bonn übersiedelte. In Deutschland unternahm sie 1951 ihre ersten Schritte als Journalistin und begann für die Schweizer Illustrierte Annabelle und für die Wochenzeitung Weltwoche zu schreiben. Mit ihrem zweiten Ehemann und ihrer großen Liebe, dem italienischen Kommunisten, Untergrundkämpfer und Parlamentsabgeordneten Valdo Magnani zog sie in ihre Geburtsstadt Rom zurück und begann 1964 ihre Arbeit im ARD-Studio Rom. Als erste Auslandskorrespondentin des deutschen Fernsehens und als freie Autorin prägte sie das Bild der Deutschen von Italien und den Italienern. In ihren präzisen Beschreibungen und Analysen schilderte Magnani jedoch keineswegs ein rein stereotypes Italien. Im Gegenteil, den Klischees setzte sie die authentische italienische Alltagswirklichkeit entgegen, zu der auch politische, gesellschaftliche und mediale Beobachtungen gehörten. Die italienische Lebensart machte sie in ihrer Tiefenstruktur, d.h. ihren komplexen und verborgenen Ausdrucksweisen verstehbar. Zuweilen erhalten ihre Leser dabei Tipps: z.B. die Empfehlung dem italienischen „ristorante“ die „trattoria“ vorzuziehen, weil dort die italienische Küche und „la dolce vita“ viel originaler zu erfahren sind  als an den Orten, die sich bereits auf Touristen aus aller Welt eingestellt haben. Doch ihre Zuschauer und Leser werden nicht von Piazza zu Piazza, von der Spanischen Treppe zur Piazza Navona und weiter zur Piazza San Petro geführt wie in einem Reiseführer oder einer Stadtführung im Doppeldeckerbus durch Rom. Mit Magnani gehen sie v.a. durch alltägliche Straßen, gelangen in Warenhäuser, erleben kleine Anekdoten des Alltags ebenso wie sie politischen Demonstrationen folgen oder den arbeitslosen, neapolitanischen Amulettenverkäufern. Dabei überwiegt immer der Blick für das Kleine: „Auf einmal wurde mir bewußt, daß sich in diesem kleinen Vorfall das wahre Antlitz Italiens widerspiegelt.“ (Magnani 2013, S. 43). Sie gehen mit Magnani ebenso zur Wahl wie ins Fußballstadion, sie lernen Künstler und Politiker kennen, sie feiern Geburtstage und Todestage und bekommen Einblicke in das italienische Sozial- und Rechtssystem z.B. wenn es um das Thema Scheidung oder Korruption geht. Führt Magnani ihre Zuschauer und Leser dann doch auf die Spanische Treppe oder in die Espresso-Bar, dann um die italienische Perspektive auf ihr Land und ihre Landsleute, ihre Mentalität und Denkweise, ihre Gewohnheiten und Rituale zu erhellen.

In dem vom Kiepenheuer & Witsch-Verlag herausgegebenen Sammelband „Mein Italien“, dessen Cover ich für meine Zeichnung als Vorlage genutzt habe, sind Texte aus ihrer gesamten Schaffensperiode enthalten. Den Titel konnte Franca Magnani noch selbst auswählen: „Mein Italien“ – die Veröffentlichung ihrer Textsammlung erlebte sie leider nicht mehr. Ihre beiden Kinder Sabina Magnani-von Petersdorff und Marco Magnani haben die Herausgabe dieses Bandes im Kiepenheuer & Witsch-Verlag übernommen und dem Band ihre ganz persönliche Sicht auf ihre Mutter anhand von kursiv gedruckten Erzählpassagen und einer Einführung beigeben. Darin heißt es: „Dies soll kein Buch zur Zeitgeschichte sein, sondern das Fragment einer Beziehung.“ (Magnani 2013, S. 11). Damit meinen sie nicht nur ihre Beziehung zur Mutter, sondern v.a. die ihrer Mutter zu ihrem eigenen Land. Diese Beziehung zu Italien ist – wie Magnani zeigt – immer eine ganz persönliche, die nicht beansprucht, allgemeingültige Wahrheiten zu vermitteln, sondern den Fremdbildern authentische Selbstbilder entgegensetzt. Geht es um Politik, werden vorfindliche Meinungen vermittelt, die sich nicht gezwungen sehen, „politisch korrekt“ zu sein. Im Gegenteil, Franca Magnani mischt auf. Sie war eine Freidenkerin und sowohl journalistisch und politisch fand sie ihre Freiheit gerade in Gesellschaftskritik und politischem und moralischem Widerstand. Die Beziehungen waren folglich keineswegs einfache, so auch diejenige zu ihrem Vater nicht, der gegen ihren Mann und damit auch gegen sie unerbittlich in der Zeitschrift Progresso d’Italia anschrieb. Valdo Magnani wurde aus der Kommunistischen Partei Italiens (PCI – Partito Comunista Italiano) ausgeschlossen, nachdem er den Stalinismus scharf kritisiert hatte und für einen weniger dogmatischeren Kommunismus eingetreten war, der der damaligen Parteilinie noch nicht entsprach. Sowohl ihre Beziehung zu ihrem Vater als auch zu ihrem Ehemann motivierten Franca Magnani, selbst  politische Texte zu verfassen, die sie u.a. im SPD-Blatt Vorwärts und der Schweizer Wochenzeitung Die Tat veröffentlichte. Schon in Kindertagen, in denen die politische Kultur das Familienleben prägte, erwuchs ihre Freundschaft mit dem italienischen Schriftsteller und Neorealisten Ignazio Silone. Ihre Bücher lassen sich also als „Fragment einer Beziehung“ lesen – einer biographisch-familiären, einer gesellschaftspolitischen und einer kulturellen sowie als eine zeitliche und räumliche. Fragmente sind ihre Texte auch, weil sie nur Ausschnitte aus einem umfangreichen Berufsleben darstellen. Fragmente aber vielleicht auch deshalb, weil die Beziehungen eines kritischen Geistes zur eigenen Nation und Kultur nie vollständig und harmonisch sein kann.

Für ihre wertvolle binationale Arbeit und ihr unablässiges kulturelles Engagement erhielt Franca Magnani 1983 den von der SPD gestifteten „Fritz-Sänger-Preis für mutigen Journalismus“ und 1992 das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. In seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Fritz-Sänger-Preises nannte Heinrich Böll Franca Magnani eine „Entwicklungshelferin für den Rechts- und Freiheitssinn“ (Magnani 2013, S. 449). Viel zu früh verstarb sie schon 1996 an einer Krebserkrankung in Rom. 

Literatur von Franca Magnani in der ersten Auflage im Kiepenheuer & Witsch-Verlag erschienen:

- Mein Italien, 2004, 22013. 
- Ciao bella! – Als Frau in Italien, 2002. 
- Rom: Zwischen Chaos und Wunder, 1998. 
- Eine italienische Familie, 1990. 

Literatur über Franca Magnani:
Danzer, Gerhard: Europa, deine Frauen. Beiträge zu einer weiblichen Kulturgeschichte, Berlin, Heidelberg: Springer 2015. S. 277-288.

Kohl, Christiane: Franca Magnani. Die Mutige. In: Hans-Jürgen Jakobs, Wolfgang R. Langenbucher (Hg.): Das Gewissen ihrer Zeit. Fünfzig Vorbilder des Journalismus, Wien: Picus 2004. S. 250-254.


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