Franca
Magnani – klug, kritisch, durchsetzungsstark, authentisch und modern, immer
elegant und sympathisch. Die italienische Journalistin Franca Magnani ist aus
der Geschichte der deutsch-italienischen Kulturbeziehungen nicht wegzudenken.
Wenngleich sie nicht mit der Schauspielerin Anna Magnani, die den meisten durch
die Filme Rossellinis und Pasolinis bekannt sein dürfte, verwandt ist, ist sie
in ihrem Metier ebenso berühmt und beeindruckend wie ihre Schauspielkollegin
Anna. Franca Magnani war eine gebürtige Römerin (1925-1996) und Tochter des
Chefredakteurs Fernando Schiavetti der italienischen Zeitung La Voce Reppublicana.
Über ihre spätere Tätigkeit als ARD-Korrespondentin hat sie Rom und ganz
Italien mit Deutschland in einen ständigen Austausch gebracht und beide Länder
fest miteinander verbunden. Darüber hinaus hat sie gezeigt, dass Frauen
mindestens so eloquent und erfolgreich sein können wie ihre männlichen Kollegen
im Journalismus. Ihre Bedeutung für die journalistische Karriere von Frauen
späterer Generationen ist nicht zu unterschätzen. Franca Magnani hielt an ihren
eigenen Überzeugungen temperamentvoll und engagiert fest und bewies ihre Standhaftigkeit
im Widerstand gegen einige mächtige Männer der Münchener Fernsehbranche, die
ihre mediale Wirkungsmacht durch ein Bildschirmverbot einzuschränken versuchten
statt ihre Offenheit, ihre Unmittelbarkeit und ihr Selbstbewusstsein, mit denen
sie bei ihren Zuschauern volle Sympathie erntete, anzuerkennen. Bei aller
Gedankenschärfe und Kritik blieb Franca Magnani einfühlsam, ehrlich und damit
für die Zuschauer glaubwürdig und realistisch. Ihre Bürgernähe, die ihren
medialen Erfolg begründete, stand auch im Zentrum ihrer politischen Ethik: „Je
mehr Bürger mit Zivilcourage ein Land hat, desto weniger Helden wird es einmal
brauchen“ (Kohl 2004, S. 253). Und entsprechend suchte sie nicht nach den
Helden der Geschichte, Politik und Kultur, sondern nach den Bürgern, den
„einfachen Menschen“ von der Straße. Zu den Bürgern zählten durchaus auch
diejenigen Künstler und Politiker, die politische und wirtschaftliche
Machtmechanismen kritisierten, um sich auf die Seite jener alltäglichen Bürger
zu stellen, die vor den Fernsehapparaten saßen und ihre Artikel lasen. Nähe
strahlen ihre Beiträge auch sprachlich aus: Sujet und Sprache bleiben
alltäglich, ganz nah an den Lesern. Kaum von Nähe gekennzeichnet war allerdings
ihr späteres Verhältnis zu den deutschen Rundfunkanstalten. Als 1977 der der
CSU nahe stehende Journalist Wolf Feller das der Studio ARD
(„Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der
Bundesrepublik Deutschland“) übernahm und die links orientierte Magnani immer
weniger zu Wort kommen ließ, blieb sie stark und verklagte später den
Bayerischen Rundfunk wegen Diskriminierung. Erst 1991 wurde ihre darauffolgende
fristlose Kündigung aus dem Jahre 1987 für ungültig erklärt. Es dauerte weitere
drei Jahre bis es zu einem Vergleich mit dem Bayerischen Rundfunk kam. Magnani
war eine Kämpferin für die Sache, für das Recht – auch ihr eigenes – und für
die Völkerverständigung.
Aufgewachsen in Italien, in Südfrankreich und in der Schweiz, heiratete Franca
Magnani neunzehnjährig den Schweizer Journalisten und Philosophieprofessor
Arnold Künzle, mit dem sie 1945 nach Bonn übersiedelte. In Deutschland
unternahm sie 1951 ihre ersten Schritte als Journalistin und begann für die
Schweizer Illustrierte Annabelle und für
die Wochenzeitung Weltwoche
zu schreiben. Mit ihrem zweiten Ehemann und ihrer großen Liebe, dem
italienischen Kommunisten, Untergrundkämpfer und Parlamentsabgeordneten Valdo
Magnani zog sie in ihre Geburtsstadt Rom zurück und begann 1964 ihre Arbeit im
ARD-Studio Rom. Als erste Auslandskorrespondentin des deutschen Fernsehens und
als freie Autorin prägte sie das Bild der Deutschen von Italien und den
Italienern. In ihren präzisen Beschreibungen und Analysen schilderte Magnani
jedoch keineswegs ein rein stereotypes Italien. Im Gegenteil, den Klischees
setzte sie die authentische italienische Alltagswirklichkeit entgegen, zu der
auch politische, gesellschaftliche und mediale Beobachtungen gehörten. Die
italienische Lebensart machte sie in ihrer Tiefenstruktur, d.h. ihren komplexen
und verborgenen Ausdrucksweisen verstehbar. Zuweilen erhalten ihre Leser dabei
Tipps: z.B. die Empfehlung dem italienischen „ristorante“ die „trattoria“
vorzuziehen, weil dort die italienische Küche und „la dolce vita“ viel
originaler zu erfahren sind als an den Orten, die sich bereits auf
Touristen aus aller Welt eingestellt haben. Doch ihre Zuschauer und Leser
werden nicht von Piazza zu Piazza, von der Spanischen Treppe zur Piazza Navona
und weiter zur Piazza San Petro geführt wie in einem Reiseführer oder einer Stadtführung
im Doppeldeckerbus durch Rom. Mit Magnani gehen sie v.a. durch alltägliche
Straßen, gelangen in Warenhäuser, erleben kleine Anekdoten des Alltags ebenso
wie sie politischen Demonstrationen folgen oder den arbeitslosen,
neapolitanischen Amulettenverkäufern. Dabei überwiegt immer der Blick für das
Kleine: „Auf einmal wurde mir bewußt, daß sich in diesem kleinen Vorfall das
wahre Antlitz Italiens widerspiegelt.“ (Magnani 2013, S. 43). Sie gehen mit
Magnani ebenso zur Wahl wie ins Fußballstadion, sie lernen Künstler und
Politiker kennen, sie feiern Geburtstage und Todestage und bekommen Einblicke
in das italienische Sozial- und Rechtssystem z.B. wenn es um das Thema
Scheidung oder Korruption geht. Führt Magnani ihre Zuschauer und Leser dann
doch auf die Spanische Treppe oder in die Espresso-Bar, dann um die
italienische Perspektive auf ihr Land und ihre Landsleute, ihre Mentalität und
Denkweise, ihre Gewohnheiten und Rituale zu erhellen.
In
dem vom Kiepenheuer & Witsch-Verlag herausgegebenen Sammelband „Mein
Italien“, dessen Cover ich für meine Zeichnung als Vorlage genutzt habe, sind
Texte aus ihrer gesamten Schaffensperiode enthalten. Den Titel konnte Franca
Magnani noch selbst auswählen: „Mein Italien“ – die Veröffentlichung ihrer
Textsammlung erlebte sie leider nicht mehr. Ihre beiden Kinder Sabina
Magnani-von Petersdorff und Marco Magnani haben die Herausgabe dieses Bandes im
Kiepenheuer & Witsch-Verlag übernommen und dem Band ihre ganz persönliche
Sicht auf ihre Mutter anhand von kursiv gedruckten Erzählpassagen und einer
Einführung beigeben. Darin heißt es: „Dies soll kein Buch zur Zeitgeschichte
sein, sondern das Fragment einer Beziehung.“ (Magnani 2013, S. 11). Damit
meinen sie nicht nur ihre Beziehung zur Mutter, sondern v.a. die ihrer Mutter zu
ihrem eigenen Land. Diese Beziehung zu Italien ist – wie Magnani zeigt – immer
eine ganz persönliche, die nicht beansprucht, allgemeingültige Wahrheiten zu
vermitteln, sondern den Fremdbildern authentische Selbstbilder entgegensetzt.
Geht es um Politik, werden vorfindliche Meinungen vermittelt, die sich nicht
gezwungen sehen, „politisch korrekt“ zu sein. Im Gegenteil, Franca Magnani
mischt auf. Sie war eine Freidenkerin und sowohl journalistisch und politisch
fand sie ihre Freiheit gerade in Gesellschaftskritik und politischem und
moralischem Widerstand. Die Beziehungen waren folglich keineswegs einfache, so
auch diejenige zu ihrem Vater nicht, der gegen ihren Mann und damit auch gegen
sie unerbittlich in der Zeitschrift Progresso d’Italia
anschrieb. Valdo Magnani wurde aus der Kommunistischen Partei Italiens (PCI –
Partito Comunista Italiano) ausgeschlossen, nachdem er den Stalinismus scharf
kritisiert hatte und für einen weniger dogmatischeren Kommunismus eingetreten
war, der der damaligen Parteilinie noch nicht entsprach. Sowohl ihre Beziehung
zu ihrem Vater als auch zu ihrem Ehemann motivierten Franca Magnani, selbst
politische Texte zu verfassen, die sie u.a. im SPD-Blatt Vorwärts und der
Schweizer Wochenzeitung Die Tat veröffentlichte.
Schon in Kindertagen, in denen die politische Kultur das Familienleben prägte,
erwuchs ihre Freundschaft mit dem italienischen Schriftsteller und Neorealisten
Ignazio Silone. Ihre Bücher lassen sich also als „Fragment einer Beziehung“
lesen – einer biographisch-familiären, einer gesellschaftspolitischen und einer
kulturellen sowie als eine zeitliche und räumliche. Fragmente sind ihre Texte
auch, weil sie nur Ausschnitte aus einem umfangreichen Berufsleben darstellen.
Fragmente aber vielleicht auch deshalb, weil die Beziehungen eines kritischen
Geistes zur eigenen Nation und Kultur nie vollständig und harmonisch sein kann.
Für
ihre wertvolle binationale Arbeit und ihr unablässiges kulturelles Engagement
erhielt Franca Magnani 1983 den von der SPD gestifteten „Fritz-Sänger-Preis für
mutigen Journalismus“ und 1992 das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens
der Bundesrepublik Deutschland. In seiner Laudatio anlässlich der Verleihung
des Fritz-Sänger-Preises nannte Heinrich Böll Franca Magnani eine
„Entwicklungshelferin für den Rechts- und Freiheitssinn“ (Magnani 2013, S.
449). Viel zu früh verstarb sie schon 1996 an einer Krebserkrankung in Rom.
Literatur
von Franca Magnani in der ersten Auflage im Kiepenheuer & Witsch-Verlag
erschienen:
-
Mein Italien, 2004,
22013.
- Ciao bella! – Als Frau in Italien, 2002.
- Rom: Zwischen Chaos und Wunder, 1998.
- Eine italienische Familie, 1990.
Literatur
über Franca Magnani:
Danzer, Gerhard: Europa, deine Frauen. Beiträge zu
einer weiblichen Kulturgeschichte, Berlin, Heidelberg: Springer 2015. S.
277-288.
Kohl, Christiane: Franca Magnani. Die Mutige. In:
Hans-Jürgen Jakobs, Wolfgang R. Langenbucher (Hg.): Das Gewissen ihrer Zeit.
Fünfzig Vorbilder des Journalismus, Wien: Picus 2004. S. 250-254.