Frankfurter Buchmesse 2015
Langstreckenlauf am letzten Messetag
Liebe Italienreport-Leser!
Es ist vorbei und fängt doch schon wieder an: Das Bücherfieber auf der Frankfurter Buchmesse 2015. Vorgestern ist die 67. Buchmesse in Frankfurt am Main zuende gegangen und ich habe für euch ein paar ausgewählte Bücher mitgebracht, die uns in der nächsten Zeit beschäftigen werden. Es wird also noch ein bißchen dauern, bis sich das Fieber wieder senkt. Daher also doch kein Ende in Sicht: Nach der Messe ist vor der Messe.
Bevor wir in die Lektüren und Besprechungen der Bücher einsteigen, möchte ich euch heute von meinen Eindrücken und Beobachtungen erzählen, die ich bei meinem Langstreckenlauf über die Buchmesse gemacht habe.
Vieles war wie immer: Es war voll, die Luft wurde immer schlechter, die Tragetaschen immer schwerer, die Zeit immer knapper. Nicht aber bei den Italienern, die ich in Halle 5.0 als erstes besucht habe. Ein guter Einstieg, hier war noch viel Luft und Platz, nur wenige Besucher schlenderten durch die Gänge. Die Bücher standen müde in den Regalen, man sah die Spuren der vielen Hände, die sie schon gegriffen hatten. Während der Stand von Rizzoli bereits mit Abwesenheit glänzte und nur riesige, unsortierte Papierstapel hinterlassen hatte, waren andere Stände noch gut sortiert. Da im nächsten Jahr Deutschland Ehrengast auf der Children's Book Fair in Bologna sein wird, interessierten mich v.a. die italienischen Kinderbücher, von denen ich euch zwei mitgebracht habe: Iole, La balena mangiaparole von Gioia Marcchegiani und Una viola al polo nord von Gianni Rodari.
Eigentlich hätten es drei werden sollen, doch während die einen ihre
Bücher zum halben Preis verschleuderten, verkauften sie andere gar
nicht. Das eine oder andere ist also noch auf dem Postwege zu uns. Lasst
euch überraschen. Von Halle 5 war es nicht mehr weit zur ARD-Bühne, wo
um die Mittagszeit die Autorin Petra Reski interviewt wurde. Ihr
neuester Kriminalroman Die Gesichter der Toten (Hoffmann & Campe)
ist also auch dabei. In ihren Interviews und Rezensionen der vergangenen
Woche wurde viel über die Mafia und Reskis biographische Erfahrungen
gesprochen, weniger aber tatsächlich über ihren Roman, seine Handlung,
seine Gestalt, seine Sprache. Natürlich werden wir das hier nachholen,
wenngleich Reskis Schilderungen in Radio, TV und Zeitung sehr spannend,
interessant und empfehlenswert sind.
Von
der ARD-Bühne gings sogleich in Halle 4.1, um den Suhrkamp Verlag, den
Wagenbach Verlag und den mare Verlag zu besuchen. Vom Wagenbach Verlag,
habe ich euch Davide Longos Der Steingänger mitgebracht, der von
Italienreport im "lessico famigliare" schon einmal kurz präsentiert
worden ist. Doch das ist nicht genug, ebenso wenig wie das Programm des
Wagenbach Verlags genug ist. Das Programm schien geschrumpft zu sein,
wenngleich die präsentierten Titel – wie immer im Wagenbach Verlag – von
hoher Qualität waren, inhaltlich wie auch in ihrer Aufmachung. Darunter
Pasolinis Petrolio, ein echter Brocken. Ein Mitarbeiter des
Verlages klärte mich sogleich auf: Bei Spanien denkt man an Suhrkamp,
bei Italien an Wagenbach. Ah, dachte ich, deshalb ist mir bei Suhrkamp
auf Anhieb kein passender Titel in die Hände gefallen. Doch wir werden
noch tiefer graben und auch bei Suhrkamp fündig werden, das kann ich
euch versprechen. Dass Wagenbach der Verlag für italienische Literatur
in Deutschland ist, ist hinlänglich bekannt. Dass die Anzahl der Titel
jedoch so gering ist, dass es nicht lohnt ein wenn auch noch so dünnes
Faltblatt der Neuerscheinungen aus dem Italienischen (neben der so
genannten "Zwiebel", die das gesamte lieferbare Verlagsprogramm
auflistet) anzufertigen, ist weniger traurig als besorgniserregend. Ja,
was ist denn los auf dem italienischen Buchmarkt bzw. auf dem deutschen
Buchmarkt? Und noch einmal: Ein Mitarbeiter des Verlages klärte mich
sogleich auf: Na, es gibt irgendwie nix und die wenigen Titel, die gut
sind..., die größeren Verlage haben natürlich auch ganz andere
Kapazitäten.... Ja, das stimmt, aber wir sind ja froh, dass der
Wagenbach Verlag gar nicht alle denkbaren italienischen Titel, die auf
dem Markt kursieren, verlegen will. Die Ausgewähltheit und Qualität der
verlegten Literatur hat ja gerade das Profil dieses unabhängigen
Verlages über Jahrzehnte gekennzeichnet. Wagenbach, das ist der Verlag,
wo man glücklicherweise vor den von Klischees und flacher Heiterkeit
durchsetzten Romanen wie Astrida Wallats Pikkolo und Panettone,
Famiglia Manotti tischt auf verschont bleibt. Doch, dass es "irgendwie
nix gibt" hören wir von Italienreport natürlich nicht gerne. Kann das
denn sein, dass es keine italienische Gegenwartsliteratur gibt, die es
sich lohnen würde im Wagenbach Verlag zu verlegen und deren Lizenzen
nicht von den finanzstärkeren Publikumsverlagen weggeschnappt werden.
Mmh, wir behalten das auf jeden Fall im Blick. Etwas nachdenklich
schaute ich mir gleich gegenüber die beiden Bände von Maike Albath an,
die im Berenberg Verlag erschienen sind und auf die wir eines Tages
sicher noch zu sprechen kommen werden: Rom, Träume und Der Geist von Turin.
Doch das muss warten. Der Blick auf die Uhr trieb mich weiter, ich war
ja noch nicht mal in Halle 3.0 angekommen. Eine Adresse in Halle 5
konnte ich jedoch auf keinen Fall auslassen: mare Verlag. Das Heft mit
den Neuerscheinungen längst vergriffen, entdeckte ich vor Ort so einige
Titel, die für Italienreport wie gemacht zu sein scheinen. Da man als
Langstreckenläufer bzw. Langlauf Skifahrerin mit seinem Gepäck gut
haushalten sollte, habe ich euch vorerst nur zwei Titel - von Luigi
Trucillo Die Geometrie der Liebe und von Claretta Cerio Mein Capri - mitgebracht. Ich danke der Offenheit, Freundlichkeit, Frische und Großzügigkeit mit der ich an diesem Stand empfangen wurde.
Nun
aber weiter. Zwei von vielen, vielen Anekdoten möchte ich euch nämlich
noch erzählen: Beim Piper Verlag erfreute ich mich an den angenehmen
Sitzgelegenheiten und den originellen Lampen. Doch es geht um Bücher.
Ich entdeckte sofort die Autobiographie von Sophia Loren, die schon
längst auf meinem heimischen Büchertisch lag und auch die Titel von
Roberta De Falco und Lorenzo Marone erkannte ich wieder, doch nicht
diese Bände trieben mich um. Ich suchte auch hier das Gespräch,
erkundigte mich nach Programmauswahl und Lektoren, die der italienischen
Literatur kundig sind und mit denen sich Kontakt aufnehmen lasse.
Fehlanzeige. Eine Reihe, die sich mit italienischer Literatur
beschäftigt, ein Schwerpunkt vielleicht bei Pendo: "Nein, haben wir
nicht." Einen Lektor, der der italienischen Literatur kundig ist und die
italienischen Titel betreut. "Wie übersetzen die Romane nicht". Ein
Lektor, der sich mit italienischer Literatur auskennt: "Gibt es nicht."
Nanu, was ist denn hier los. Klar, kann man nicht alle Fragen
beantworten und klar, hat man am letzten Messetag auf solche Fragen
vielleicht keine Lust mehr. Doch selbst ein Verweis auf die
Presseabteilung hätte einen adäquateren Eindruck hinterlassen. Der Piper
Verlag hatte insbesondere in den fünfziger Jahren die italienische
Literatur verlegt und damit das Profil des Verlages geprägt, so liest
man es zumindest in der Verlagsgeschichte, die der Piper Verlag auf
seiner Website veröffentlicht hat. Wie es für Langstreckenläufer aber
typisch ist, bleiben sie nicht auf der Strecke, laufen weiter und haben
einen langen Atem. Wir werden also auch hier noch eingehender forschen.
Wenn
also nichts geht, geht wenigstens die Presseabteilung, das hat mir die
Dame vom Oetinger Verlag empfohlen. Wir erinnern uns noch einmal kurz an
den Anfang: Halle 5.0 italienische Kinderbücher, Kinderbuchmesse 2016
in Bologna. Na, da liegt es doch nahe einmal bei den deutschen
Kinderbuchverlagen nachzufragen, was es so aus Italien gibt. Mir schien,
man hatte die Langlaufski schon abgelegt und ging bereits barfuß oder
hatte die Stöcker verloren. Ich wollte die Lage daher nicht
überstrapazieren als ich gewahr wurde, dass meine Frage nach
italienischen Autoren im Programm überhaupt nicht verstanden wurde. Ich
versuchte noch zu erklären, na es würden doch in Italien Kinderbücher
von italienischen Autoren verfasst und illustriert werden, die man
möglicherweise in die deutsche Sprache übersetzt, um sie... . Die wie
aus dem Nichts rauchend aufsteigenden Fragezeichen konnte man dieses Mal
leider nicht mehr mit der antiken Weisheit Sokrates' auflösen: „Ich
weiß, dass ich nichts weiß“. Da zumindest ich mir dessen bewusst bin,
bleibe ich auch hier dran und recherchiere weiter statt das unglaublich
umfangreiche, mehrbändige und damit schwere Verlagsprogramm mitzunehmen.
Angesichts der sportlichen Leistung, die ein Langstreckenlauf auf der
Buchmesse erfordert, entschied ich mich, mich erst einmal auf der
Homepage kundig zu machen. Es ist schließlich noch ein langer Weg, bis
unsere Fragen Antworten finden und die italienische Literatur auf dem
deutschen Markt einen größeren Rang einnimmt. Atemlos sind wir deshalb
noch lange nicht und eines ist klar: Gibts nicht, geht nicht. Das haben
nicht zuletzt Moshe Kahn und der S. Fischer Verlag in diesem Jahr mit
Stefano D'Arrigos Horcynos Orca bewiesen. Kahn erhielt für seine
Übersetzung den diesjährigen "Deutsch-italienischen Übersetzerpreis",
der seit 2008 jährlich vergeben wird. Aber wer weiß das schon, über die
Übersetzer spricht kaum jemand. Auch das wollen wir ändern. Liebe
Italienreport-Leser, ihr seht, da liegt noch einiges vor uns und wir
können uns freuen, denn jetzt haben wir viel Platz, viel Ruhe und viel
Zeit bis zur Frankfurter Buchmesse 2016.
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